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Herbert Hofer Buchhandlung: Thalia Wien – Mariahilfer Straße
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Meine letzte Rezension Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden von Christian Holler
Die Autoren und Grafiker des Buches "Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden" haben sich zum Ziel gesetzt, leicht verständlich und möglichst anschaulich die Potentiale erneuerbarer Energien und ihre Vor- und Nachteile darzustellen und die Frage zu klären, ob sich konkret Deutschland zur Gänze aus erneuerbaren Energien versorgen könnte. Es geht dabei also nicht um wissenschaftliche Genauigkeit sondern um die Vermittlung von ungefähren Größenordnungen. Dass dieses Ansinnen so besonders gut gelungen ist, liegt neben den kurzen und gut verständlichen Texten sehr an der grafischen Gestaltung und den zahlreichen Diagrammen. ____ Gleich zu Beginn des Buches wird ein Vergleich angestellt, der über das ganze Buch hinweg verwendet wird: unser durchschnittlicher täglicher Energieverbrauch wird mit der Energiemenge verglichen, die ein Radfahrer im Laufe eines 10-stündigen Arbeitstages erzeugen könnte (365 Tage im Jahr). Das Ergebnis dieser Gegenüberstellung ist recht eindrucksvoll: die Energieausbeute des Radfahrers wird mit 1KWh angenommen, jeder von uns benötigt täglich 85 Radfahrer um seinen Verbrauch abzudecken, gar 120 an Primärenergie, in der alle Wärmeverluste und Verluste bei der Energiegewinnung und Speicherung mit eingerechnet sind. ____ Und so wird für jede Energiequelle - Sonne, Biomasse, Wind, Wasserkraft, Wellen, Gezeiten, Geothermie - beschrieben, wie sie funktioniert, wie viele der 85/120 Radfahrer damit abgedeckt werden können und wie sie in Bezug auf Flächenverbrauch, ökologische Nebeneffekte, allfälligen Speicherbedarf und weltweite Verfügbarkeit einzuordnen ist. Am Ende des Buches gibt es noch ein kurzes Kapitel über Energiequellen, die (für Deutschland) keine große Relevanz haben und eines zum Thema Atomkraft. ____ All das ist wie gesagt sehr anschaulich und verständlich vermittelt. Ein großer Teil der ca 170 Seiten entfällt auf Grafiken, das Buch ist also schnell gelesen und vermittelt tatsächlich ein gutes Bild über die Möglichkeiten, die sich uns stellen. ____ Wobei sich das Buch, wie gesagt, auf die geografischen Voraussetzungen Deutschlands bezieht, für Österreich sähe eine vergleichbare Analyse aufgrund der besseren Bedingungen für Wasserkraft möglicherweise ganz anders - damit aber nicht notwendigerweise besser - aus. ____ Für mich haben sich durch das Buch viele Fragen und Fehleinschätzungen geklärt, ich kann es jedem der sich einen Überblick verschaffen möchte nur „wärmstens“ empfehlen!
ab 18,95 €
5/5
  • Herbert Hofer
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5/5

Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden

Die Autoren und Grafiker des Buches "Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden" haben sich zum Ziel gesetzt, leicht verständlich und möglichst anschaulich die Potentiale erneuerbarer Energien und ihre Vor- und Nachteile darzustellen und die Frage zu klären, ob sich konkret Deutschland zur Gänze aus erneuerbaren Energien versorgen könnte. Es geht dabei also nicht um wissenschaftliche Genauigkeit sondern um die Vermittlung von ungefähren Größenordnungen. Dass dieses Ansinnen so besonders gut gelungen ist, liegt neben den kurzen und gut verständlichen Texten sehr an der grafischen Gestaltung und den zahlreichen Diagrammen. ____ Gleich zu Beginn des Buches wird ein Vergleich angestellt, der über das ganze Buch hinweg verwendet wird: unser durchschnittlicher täglicher Energieverbrauch wird mit der Energiemenge verglichen, die ein Radfahrer im Laufe eines 10-stündigen Arbeitstages erzeugen könnte (365 Tage im Jahr). Das Ergebnis dieser Gegenüberstellung ist recht eindrucksvoll: die Energieausbeute des Radfahrers wird mit 1KWh angenommen, jeder von uns benötigt täglich 85 Radfahrer um seinen Verbrauch abzudecken, gar 120 an Primärenergie, in der alle Wärmeverluste und Verluste bei der Energiegewinnung und Speicherung mit eingerechnet sind. ____ Und so wird für jede Energiequelle - Sonne, Biomasse, Wind, Wasserkraft, Wellen, Gezeiten, Geothermie - beschrieben, wie sie funktioniert, wie viele der 85/120 Radfahrer damit abgedeckt werden können und wie sie in Bezug auf Flächenverbrauch, ökologische Nebeneffekte, allfälligen Speicherbedarf und weltweite Verfügbarkeit einzuordnen ist. Am Ende des Buches gibt es noch ein kurzes Kapitel über Energiequellen, die (für Deutschland) keine große Relevanz haben und eines zum Thema Atomkraft. ____ All das ist wie gesagt sehr anschaulich und verständlich vermittelt. Ein großer Teil der ca 170 Seiten entfällt auf Grafiken, das Buch ist also schnell gelesen und vermittelt tatsächlich ein gutes Bild über die Möglichkeiten, die sich uns stellen. ____ Wobei sich das Buch, wie gesagt, auf die geografischen Voraussetzungen Deutschlands bezieht, für Österreich sähe eine vergleichbare Analyse aufgrund der besseren Bedingungen für Wasserkraft möglicherweise ganz anders - damit aber nicht notwendigerweise besser - aus. ____ Für mich haben sich durch das Buch viele Fragen und Fehleinschätzungen geklärt, ich kann es jedem der sich einen Überblick verschaffen möchte nur „wärmstens“ empfehlen!

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Meine Lieblingswerke

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    5/5

    Das blinde Licht

    Manche Bücher setzen mit einer Vehemenz an, durch die man sich unweigerlich an das Bekenntnis des amerikanischen Konzeptkünstlers Bruce Naumann erinnert fühlt, seine Kunst solle wirken wie ein Schlag ins Genick. 
 Einige erste Absätze der aktuelleren Literatur erfüllen diese Vorgabe umwerfend gut: Sterben von Knausgard, Karte und Gebiet von Houellebecq, Tyll von Kehlmann oder Die Tagesordnung von Vuillard beispielsweise. Und jetzt eben Das blinde Licht von Benjamin Labatut. Der hat mit dem letztgenanntem Vuillard nicht nur die Wucht präzise gewählter Details gemeinsam, sondern auch den konzeptuellen Zugang.
 Labatut versammelt in diesem seinem ersten auf Deutsch bei Suhrkamp erschienenen Buch biografische Erzählungen über herausragende Wissenschafter, die mit ihren außergewöhnlichen analytischen Fähigkeiten an gefährliche Grenzen gerieten. An die der eigenen geistigen und körperlichen Gesundheit zuallererst, vor Allem aber auch an jene, mit ihren Entdeckungen zwar das Wissen über die Welt bereichert, dabei aber der Menschheit Mittel in die Hand gelegt zu haben, die ihre massenhafte Vernichtung möglich machen. 
 Auch wenn manche wissenschaftliche Entstehungsgeschichte, die der Autor beschreibt, schon lange vor dem 20ten Jahrhundert, lange vor dessen technischen Möglichkeiten und menschlichen Abgründen begonnen hatte, in genau diesen Schrecken der Massenvernichtung - in den Versuch ihrer Vermeidung aber auch in ihre Umsetzung - darin münden, wie von einem Sog erfasst, alle hier versammelten Biografien und alle hier beschriebenen Entwicklungen. 
Dieses Thema und diese historischen Details bilden unbestreitbar eine überwältigende Ausgangslage für große Literatur. Sie erfordern - neben immenser Recherchearbeit - aber auch einen äusserst souveränen Autor, um ihnen gerecht zu werden. Und ein solcher ist Benjamin Labatut ganz unzweifelhaft! Deshalb ist meine ganz große Bitte an Sie: lesen Sie es!

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    5/5

    Das Meer der endlosen Ruhe

    Den Texten von Emily St. John Mandel gelingt es, den darin beschrieben Welten eine besondere Schönheit zu verleihen und mich besonders tief emotional zu berühren. Wie die Autorin diese Wirkung zustande bringt, vermag ich nicht zu beurteilen aber ich kann Dinge benennen, die mir beim Lesen bemerkenswert erschienen sind. ____ So wie zuvor auch „Station Eleven“ ist „Das Meer der endlosen Ruhe“ verblüffend gekonnt konstruiert. Man ist schon recht weit im Buch vorangekommen, hat die Ausgestaltung der Orte und Epochen, in denen es spielt, miterlebt, bis einem das eigentliche Thema des Buches allmählich klar wird. ____ Und als Zweites finde ich charakteristisch, dass alles aus einer gewissen Entrücktheit, aus Melancholie, aus der Distanz, aus Mittelbarkeit beschrieben ist. Da ist die Teilnahmslosigkeit mit der die Figuren Edwin St. John St. Andrew und Gaspery-Jacques Roberts - anfangs! - ihre Leben leben. Da ist die Beschreibung der Mondkolonie mit ihren Simulationen eines irdischen Himmels (samt Wolken und vorprogrammierten Regenfällen). Da ist das - mehrmals zitierte - Geigenspiel, das im Terminal einer Weltraumstation hallt. Da ist der Blick in die kalte Leblosigkeit des Weltalls in jener Kolonie, die ohne Himmelssimulation auskommen muss. Da sind die stets gleichen, nur unterschiedlich eingefärbten Hotelzimmer, in denen die Autorin Olive Llewellyn bei ihrer Lesereise unterkommt. All das ist in gewisser Weise schön oder vielleicht sogar strahlend beschrieben - aber eben, wie unter einer Glaskuppel oder als ob es nur eine Erinnerung wäre. ____ Dass man so lange keine genaue Idee vom eigentlichen Thema erhält, erhöht den Reiz des Buches sehr, weswegen hier nur verraten sei, dass über einen Zeitraum von ein paar hundert Jahren Anomalien beobachtet werden, die erschreckende Vermutungen über Manipulationen der menschlichen Wahrnehmung nahelegen. ____ Mich hat die Athmosphäre beider Bücher, die ich bislang von Emily St. John Mandel gelesen habe, zutiefst berührt und beeindruckt, entsprechend ist auch „Das Meer der endlosen Ruhe“ eine ganz besonders nachdrückliche Lesempfehlung - und zwar nicht nur für Science-Fiction Leser:innen sondern ganz sicher auch für Fans von gehobener Belletristik!

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    5/5

    Kesseltreiben

    Dominique Manotti ist das Pseudonym der französischen Wirtschaftshistorikerin und Gewerkschafterin Marie-Noëlle Thibault, die mit 50 aus Enttäuschung über die Regierung Mitterand begonnen hat, Politthriller zu verfassen. Dabei folgt sie dem klaren Programm, sich von realen Polit- und Finanzskandalen inspirieren zu lassen und davon in einer raschen, harten, an Berichte erinnernden Sprache zu erzählen. Gelegentliche, abrupte Wechsel der Erzählperspektive erhöhen zusätzlich das Tempo. 
 Der Roman Kesseltreiben behandelt die Übernahme des französischen Konzerns Alstom durch den US-amerikanischen Konzern General Electric, im Buch ersetzt durch die Firmennamen Orstam und Power Energy. Wenn dabei ein ranghoher Orstam Manager bei der Einreise in die USA verhaftet wird, ist das nur die erste spürbare Maßnahme, Druck auf Repräsentanten des Konzerns auszuüben. Im Hintergrund hatten US Geheimdienste und Justiz schon längst begonnen, Druckmittel zu sammeln.
 Denn schliesslich sind in den oberen Etagen der Industrie die Eitelkeiten groß und der Versuchungen viele. Bestechung ist illegal aber systemimmanent, Kokain fast ebenso und beim Feiern gerät man schon mal an Mädchen, die deutlich jünger sind, als man gedacht - und der Gesetzgeber toleriert - hätte.
 Eine neu gegründete Abteilung für Wirtschaftliche Sicherheit wird auf Vorgänge bei Ostram aufmerksam und bringt sie mit anderen Vergehen in Verbindung - Geldwäsche, Mord, Korruption.
 Den Druck, der auf Kontrahenten ausgeübt wird, plastisch erlebbar zu machen ist eine besondere Spezialität von Manotti und den Manövern und Inszenierungen beizuwohnen, mit denen die Akteure zu Zusammenarbeit und Auskünften gezwungen werden, ein guter Teil des Vergnügens, sie zu lesen. Unweigerlich erhält man den Eindruck, Manotti kenne Details solcher Vorgänge aus erster Hand und es ist gerade die Kenntnis vieler unbedeutender Kleinigkeiten, die der Autorin solche Glaubwürdigkeit verleiht. Man glaubt Manotti mit jedem Wort, dass sich manche Deals in der Hochfinanz so oder sehr ähnlich zutragen! Die Bedeutung dieser Autorin geht weit über das Krimi/Thriller Genre hinaus, wer wissen will, in welch einer Welt er/sie lebt, sollte Manotti lesen. Kesseltreiben ist meiner Meinung nach ihr bislang brilliantestes Buch. Bitte lesen Sie es, es ist toll!

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    5/5

    The Carbon Footprint of Everything

    ___Der Titel macht keine leeren Versprechungen! The Carbon Footprint of Everything von Mike Berners-Lee ist tatsächlich ein Nachschlagewerk zum CO2 Fußabdruck von Allem. Na gut, geringfügig einschränken muss man dann doch: von so ziemlich Allem.
 ___A pair of pants: das ist klar, man kennt die ökologischen Aspekte der Textilindustrie und freut sich daher über gesicherte Daten (auch wenn die eine Überraschung beinhalten). Bei mortgage ist man dann aber schon recht verwundert! Woher rühren CO2 Emissionen bei einer Hypothek? Aber natürlich hat auch das Bankenwesen einen Material- und Energieaufwand, der Emissionen verursacht und daher anteilsmäßig der einzelnen Hypothek zuzurechnen ist. Spargel? Hängt davon ab: saisonal und regional, keine große Sache. Per Luftfracht von Peru nach New York transportiert? Fast 12 x so viel! 
 ___In dieser Zusammenfassung wird ungeheuer genau aufgeschlüsselt, woraus sich der gesamte Impact eines Produkts zusammensetzt: wo und unter Aufwendung welcher Energie, welcher Ressourcen wird es produziert? Wird es anschliessend transportiert? Wenn ja, wie? Wie lange verwendet es der Konsument, was tut er danach damit, wird es recycled, landet es auf einer Deponie? ... 
 ___Selbstverständlich kommen auch die richtig großen Hebel zur Sprache: Transport, Verkehr, Bauwesen, IT. Oder etwa Krieg. Womit klar ist - und vom Autor auch erwähnt wird: das, was Einzelne bewirken können ist irrelevant, solange sich die Industrie und die Politik nicht bewegen!
 ___Das überraschende an diesem Buch ist, dass das alles ganz ausserordentlich unterhaltsam geschrieben ist! Mike Berners-Lee bringt diese Themen mit einer Leichtigkeit und in einer ungezwungenen Alltagssprache, die das Buch zum veritablen page-turner machen! ___
Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die herkulische Aufgabe, die hinter diesem Handbuch steckt, schon von jemandem erledigt worden wäre. Und doch gibt es das und ich finde es großartig! Dabei muss ich dem Klappentext in einem widersprechen: das Buch gehört nicht on everyone’s bookshelf, es gehört zum sofortigen Nachschlagen in allen Lebens- und Konsum Lagen in everyone’s handbag!
 ___Also bitte kaufen Sie ein Exemplar davon! Soferne alle Kopien verkauft werden, beträgt der Fußabdruck nur schlanke 400 g (Vorsicht: das steigt gleich an, wenn viele liegen bleiben!!!). Während Sie darin zu lesen beginnen, lassen Sie einfach den Abwasch aus (dishwasher, eco-setting, 800 g), dann haben Sie Ihres und das für den Nachbarn schon wieder herinnen :-)
 ___(Den CO2 Abdruck dieser Rezension nehme ich auf meine Kappe, ich fahr eh immer mit dem Radl!)


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    5/5

    Lost in Fuseta

    Mit Leander Lost ist es alles andere als einfach! Er ist manchmal beleidigend direkt, versteht absolut keinen Humor, hat null Ahnung von Ironie, ist vollkommen ausserstande zu lügen und die Stimmungslage seiner Mitmenschen hat er anhand der Stellung der Mundwinkel und Augenbrauen zu lesen gelernt, ein intuitives Verständnis davon besitzt er nicht. ___ Die besonders drastischen Auswirkungen von Losts Persönlichkeit belasten die Annäherung zu seinen neuen Kollegen doch sehr, etwa der Verrat des geheimen Cannabis Ackers, den die portugiesischen Polizist:innen doch unbedingt für sich behalten hätten wollen. Und über den von ihm abgegebenen Schuß sei hier nichts verraten, er trägt aber sicherlich auch nicht zu spontaner Freundschaft bei. Andererseits sind Losts Kombinationsgabe und seine analytischen Fähigkeiten ganz herausragend und es ist sein fotografisches Gedächtnis, das die anstehenden Ermittlungen erst in die richtige Richtung führt. ___ Leander Lost ist Betroffener des Asperger Syndroms. Er ist im Rahmen eines Austausch Programms für ein Jahr von Hamburg an die Algarve versetzt worden. Rasch wird klar, dass man in Hamburg dafür nicht den fähigsten Kollegen ausgesucht sondern die Gelegenheit genutzt hat, sich seiner zu entledigen. ___ Damit kommen bereits die sehr unterschiedlichen Mentalitäten zur Sprache: während man sich in Hamburg hinter seinem Rücken über Lost lustig macht, nehmen ihn die Kollegen in Fuseta nach anfänglichen Schwierigkeiten nicht nur bald ernst und sondern dann auch auf und arrangieren sich mit seinen Defiziten. Gil Ribeiro beschreibt die Portugiesen als ausserordentlich herzlich und (gast)freundlich, eine gewisse Melancholie ist ihnen in seinem Buch ebenso zu eigen wie der Wille und auch die Gabe, aus den Gegebenheiten stets das Beste zu machen. ___ Gil Ribeiro hat mit einem autistischen Kriminalpolizisten zweifellos eine Art Unique Selling Point geschaffen. Aber über alledem steht doch sicherlich die Frage, wie sehr das Buch als Kriminalroman taugt. Und da habe ich ganz hervorragende Nachrichten für den Leser. Neben seinen athmosphärischen Qualitäten ist das Buch auch ein ganz besonders gelungener Krimi, der sich einem gravierenden Problem dieser Region widmet, nämlich der Wasserversorgung. Lost in Fuseta ist eine schön komplexe, zunehmend spannende, stimmige, glaubwürdige und oft auch berührende Geschichte, die vorwiegend unterhalten will und dabei reflektiert und intelligent ein wichtiges Thema behandelt. Eine große Empfehlung für Krimileser!

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    5/5

    Trauriger Tiger

    Trauriger Tiger von Neige Sinno ist ein besonders beeindruckendes Buch - und übrigens das bislang erste, das ich, unmittelbar nachdem ich es beendet hatte, wieder von vorne zu lesen begonnen habe. Die Autorin schreibt darin über die regelmäßigen, systematischen und über Jahre wiederholten Vergewaltigungen, denen sie durch ihren Stiefvater ab ihrem 7ten oder 8ten Lebensalter bis nach der Pubertät ausgesetzt war. Auch wenn sie insbesondere im ersten Drittel des Textes die Gewalttaten teilweise sehr detailliert beschreibt, ist ihr Tonfall dabei ruhig, sehr persönlich und ganz sicher nicht von Selbstmitleid bestimmt. ___ Sie schreibt über die Ereignisse selbst und den Prozess zu dem es kam, nachdem sie sich entschlossen hatte, zum Schutz ihrer jüngeren Geschwister das Schweigen zu brechen und den Stiefvater anzuzeigen. Eigentlich ist der Text aber eine Art Essay in dem sie das Thema aus einer Vielzahl von Perspektiven umkreist. Sie führt soziologische Befunde und Statistiken ebenso an wie etwa Zeitungsartikel, die über sie erschienen sind. Dabei wirkt sie niemals theoretisierend oder abstrakt sondern geht immer von ihrem eigenen Erleben aus, geleitet von einer enormen Bedachtsamkeit und Sensibilität. Und ich denke, es ist diese Genauigkeit ihres Betrachtens und Differenzierens, die dieses Buch so einzigartig macht. Dabei ist immer klar, die Deformationen, die die Vergewaltigungen verursacht haben, die Albträume, die hören nicht auf, die gehen nicht weg! ___ Neige Sinno ist nicht nur Autorin sondern auch Literaturwissenschafterin und ihre Verweise auf Literatur, die sich diesem Thema widmet - allen voran natürlich Lolita von Nabokov - verleihen dem Buch eine zusätzliche Breite. In Frankreich war ihr Buch ein riesen Erfolg und man wünscht diesem Buch auch im deutschsprachigen Raum viele Leser (und vielen Lesern dieses Buch, ungeachtet des belastenden Themas) ___ Ein wichtiges, und dabei umwerfend gutes Buch!

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    5/5

    Anfänge

    Es ist schon einige Zeit her, dass ich „Anfänge“ von David Graeber und David Wendrow gelesen habe. Aber nachdem es für mich nach wie vor eines der wichtigsten und inspirierendsten Bücher der letzten Jahre ist, möchte ich doch unbedingt eine Empfehlung dafür abgeben (die notgedrungen etwas oberflächlicher ausfällt, als das Buch es verdienen würde). ____ Graeber und Wendrow unternehmen darin den Versuch einer detaillierteren Darstellung der frühen Formen menschlichen Zusammenlebens - und zwar eine, die auf archäologischen und anthropologischen Fakten sowie auf Berichten über und auch von indigene/n Völker/n beruht. Sie wenden sich dabei ganz explizit gegen die immer gleiche Wiederholung des Mythos beispielsweise durch Autoren wie Harari und Diamond, demzufolge Jäger und Sammler Gesellschaften alle gleich egalitär organisiert gewesen wären und erst die Entwicklung der Landwirtschaft Hierarchien und Spezialisierungen hervorgebracht hätte. ____ Eine Vielzahl an Befunden belegen verschiedenste politische Modelle, unter denen Menschen über Jahrtausende zusammen gelebt haben, darunter auch solche, die es dem gängigen Mythos zufolge gar nicht gegeben haben soll - Monumentalbauten, die von nichtsesshaften Menschen errichtet wurden, sesshafte Menschen, die Ansiedlungen ohne erkennbares (rituelles oder politisches) Zentrum errichtet haben und sogar Gesellschaften, die in unterschiedlichen Jahreszeiten unterschiedliche Organisationsformen gewählt haben. Und es ist ja tatsächlich schwer vorstellbar, dass die Menschheit - der moderne Mensch, aber auch seine ausgestorbenen Verwandten - über Jahrhunderttausende gelebt haben soll ohne je über Formen des Zusammenlebens nachgedacht und gesprochen zu haben - und einzig die „Erfindung“ der Landwirtschaft das plötzlich geändert haben soll. ____ Zum Thema der Entwicklung von Landwirtschaft gibt es übrigens auch Befunde, die diesen Prozess plastischer, und als weniger plötzlich und weniger zielgerichtet beschreiben. ____ Wie profund die beiden Wissenschater in Ihrem Werk vorgehen, zeigt sich für mich ziemlich zu Beginn des Buches an ihrem Umgang mit dem Begriff der Gleichheit. Während sich andere Autoren (darunter auch die oben erwähnten) gleich an die Beantwortung der Frage machen würden, wann in der Menschheitsgeschichte Gleichheit geherrscht haben soll und ab wann nicht mehr, betrachten Graeber und Wendrow zuerst einmal die Frage: was ist Gleichheit und was inkludiert sie? Ist das politische und wirtschaftliche Gleichheit, oder auch Gleichheit in der Rollenverteilung der Geschlechter? Und, in einem nächsten Schritt, wie gerät dasThema der Gleichheit/Ungleichheit im 18. Jahrhundert (durch Rousseau) überhaupt in die europäischen philosophischen Diskurse? In einer Epoche somit, in der jeder Aspekt der europäischen Gesellschaften zutiefst hierarchisch geprägt war? Die Beantwortung dieser Frage ist ein umfangreiches und faszinierendes Kapitel und hat mit indigenen Perspektiven zu tun, deren Habilitation den Autoren ein zentrales Anliegen ist. ____ In den frühen Formen menschlichen Zusammenlebens werden sich möglicherweise kaum Lösungsansätze finden, die einer heutigen Weltbevölkerung von über 8 Milliarden Menschen hilfreich sein können. Aber einer biologischen Spezies anzugehören, zu deren DNA es gehört, immer neue politische Ideen zu entwickeln, fühlt sich doch deutlich hoffnungsvoller an als die immer gleiche Darstellung eben dieser Gattung als einer, die vor 10.000 Jahren Entscheidungen getroffen haben soll, die eine immerwährende Unfreiheit zur Folge haben sollen. ___ Mich hat das Buch zutiefst beeindruckt und wohl auch geprägt und ich bin fest entschlossen, es irgendwann einmal erneut zu lesen!

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    5/5

    Nuclear War

    Ich glaube, es gab bislang kein Buch, dessen Lektüre mein Bild vom Zustand der Welt stärker geprägt hat als Nuclear War von Annie Jacobsen. ____ Mit Zustand der Welt meine ich die Frage, wie stabil oder erschütterlich die Art und Weise unseres Lebens auf der Erde ist und somit auch jene Fragen, die im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Atomwaffen auftreten: Wie leicht kann es zu einer nuklearen Attacke kommen? Wie hoch sind die Chancen, dass ein solcher Angriff nicht in eine totale Eskalation mündet? Was bedeutet die Detonation einer Atombombe für die Menschen von den ersten Sekunden bis ein halbes Jahr danach? Und was bedeutet ein Atomkrieg für die gesamte Menschheit, ihre Lebensweise und ihre Technologien in den Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten danach. ____ Wer einen so genauen Blick auf die Verfasstheit der Welt erhalten möchte wird dieses Buch zweifellos lesen und wird kaum besser recherchierte und eindrücklicher aufbereitete Fakten zu diesen Themen erhalten. Ich möchte daher nichts vorweg nehmen sondern gerade zwei Aussagen wiedergeben, die alle bereits auf den ersten Seiten getätigt werden: Eine Atombombe ist das einzige Szenario ausser einem Asteroideneinschlag, das das sofortige Ende der Welt, so wie wir sie kennen, bedeuten würde! Und eine solche Abfolge von Erst- und Gegenschlägen würde gerade einmal 72 Minuten dauern. Dann wäre ein Zustand erreicht in der kein involvierter Staat mehr feuern könnte noch, in der Lage wäre zu überprüfen, ob die eigenen Raketen ihr Ziel erreichen. ____ Annie Jacobsen hat über zehn Jahre an diesem Buch gearbeitet, unzählige Interviews geführt und Daten zusammengetragen, die gerade nicht oder nicht mehr der Geheimhaltung unterlagen. Sie beschreibt äusserst detailliert, was genau sich bei der Explosion einer Atomwaffe ereignet und welche Wirkung sie nach wievielen Sekunden/Minuten und in welchem Abstand zum Epizentrum entfaltet, auf die Sinnesorgane der Menschen, auf ihre Haut, auf ihre Gliedmassen, auf ihre bauliche oder natürliche Umgebung. Das sind Beschreibungen, die mich über mehrere Tage hinweg bis in meine Träume verfolgt haben, dennoch finde ich es nicht nur für mich richtig, mich über dieses Zerstörungspotential informiert zu haben. Ich empfinde es darüber hinaus auch als eine ganz besondere Bereicherung, das Produkt herausragender literarischer und journalistischer Arbeit lesen zu können ...

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    5/5

    Das Lied des Propheten

    Das Lied des Propheten ist durchaus fordernde und emotional belastende und dabei umso wichtigere Lektüre. In Folge einer nicht näher definierten Krise wird das Land, in dem der Roman spielt, per Notverordnungen regiert und entwickelt sich zusendends autoritärer und diktatorischer. Nun hat Paul Lynch dieses Szenario nicht in eine unbestimmte Zukunft oder Weltgegend verlagert sondern in ein Irland das zwar zweifelllos fiktiv aber dennoch im heutigen Europa angesiedelt ist. Ganz deutlich wird dem Leser damit vermittelt wie wenig weit es von einer funktionierenden Demokratie zu einer Diktatur sein kann und ein Rundumblick jetzt, im Oktober 2024, wird diesen Befund nur unterstreichen können! ___ Das Buch beschreibt das subjektive Erleben Eilish Stack's, Mutter von vier Kindern und Ehefrau von Larry. Die Ereignisse beginnen, als Larry, Funktionär der Lehrergewerkschaft, erst zu einer Befragung geladen und kurz danach verhaftet wird und und in der Folge unauffindbar ist. Die machthabende Partei erhöht den Druck, Ausgrenzungen, Drohungen, Säuberungen, behördliche Schikanen setzen Eilish nicht nur psychisch zu sondern machen ihren Alltag - als Ehefrau eines Regimegegners - mit den Kindern und dem demenzkranken Vater zusehends schwieriger. Rebellen leisten Widerstand, die Lage verschärft sich weiter, Hinrichtungen, Folter, Bürgerkrieg sind die unweigerlichen Folgen, Eilish und ihre Kinder in unterschiedlicher Weise von alledem betroffen, sie selbst als Mutter stets versuchend, den Kindern Zuversicht zu geben. ___ Paul Lynch’s Text hat sehr wenige Absätze, direkte Reden sind nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet, es gibt unkommentierte Zeitsprünge in der Handlung und es vermischen sich oft Träume und Fantasien mit den Handlungselementen. Das sind Kunstgriffe, die die Lektüre möglicherweise schwieriger machen, aber sie sorgen auch für eine Permanenz des Drucks und erhöhen die Emotionalität des Textes noch einmal deutlich - bis zu wirklich schwer erträglichen Szenen! ___ Paul Lynch wurde für dieses Buch mit dem Booker-Preis ausgezeichnet, es wurde mit so vielen Superlativen bedacht, dass es schwerfällt noch eigene Attribute dafür zu finden: ich fand es eindringlich und intensiv und es ist von einer beklemmenden Aktualität!

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