Leipzig 1898: Eigentlich hat Kriminalcommissar Joseph Kreiser mit dem verschwundenen Afrikaner aus dem Zoo schon alle Hände voll zu tun. Dieser sollte dort in der Völkerschau zu bestaunen sein. Doch dann wird kurz darauf die Leiche des Industriellen Carl August Georgi im Lindenauer Vergnügungslokal Charlottenhof gefunden. Besteht ein Zusammenhang zwischen den beiden Fällen? In einer von Umbruch geprägten Zeit sucht Kreiser nach Antworten und stößt dabei auf menschliche Abgründe.
Gregor Müller wurde 1987 in Lichtenstein geboren und lebt seit über 10 Jahren in Leipzig. Nach einem Studium der Klassischen Archäologie arbeitete er mehrere Jahre als Rechercheur und Redaktionsassistent für Fernsehdokumentationen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. "Völkerschau" ist seine erste Publikation und der Auftakt zu einer Reihe historischer Kriminalromane, die in Leipzig an der Wende zum 20. Jahrhundert angesiedelt sind.
Die ledige Hannah ist nach einer Infektionskrankheit erblindet und kann ihren Beruf als Lehrerin nicht mehr ausüben. Zum Glück hat sie von ihrem Onkel eine Wohnung und etwas Geld geerbt, sodass sie in bescheidenen Verhältnissen leben und sich sogar ein Dienstmädchen, Gretchen, leisten kann. Diese junge Frau unterstützt sie auch in Alltagsbelangen, geht mit ihr spazieren und liest ihr vor. Um ihre finanziellen Möglichkeiten aufzustocken, hat sie ein Zimmer untervermietet, so lebt Joseph Kreiser, ein ehemaliger Schüler und jetzt Kriminalbeamter, bei ihr. Ihr größtes Vergnügen ist es, dass er ihr immer nach dem Abendessen von den laufenden Fällen berichtet. So auch dieses Mal, als der reiche Industrielle August Georgi ermordet aufgefunden wird. Fast zeitgleich verschwindet ein junger Afrikaner, der in einer der damals üblichen ›Völkerschauen‹ mitwirkte ...
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Die Idee, die Kriminalfälle durch die »Augen« der blinden Hauptperson erleben zu lassen, fand ich großartig und kreativ. Der Autor verstand es, mich mit beiden Handlungssträngen zu fesseln: Da ist zum einen das Leben von Hannah, der ohne Heirat nur die Möglichkeit einer Lehrtätigkeit offenstand, die sie als Blinde nicht mehr ausüben kann. Obwohl ihr Dasein auf den ersten Blick trist erscheint, verliert sie nicht den Mut und hat ein herzliches Verhältnis zu ihrem Dienstmädchen Gretchen aufgebaut, was in der damaligen Zeit nicht der Norm entsprach. Die Gespräche mit ihrem Untermieter werden in der Ich-Form aus Kreisers Sicht erzählt und ziehen den Leser in den Kriminalfall hinein. Die beiden Beamten Kreiser und Staatsanwalt Möbius sind sympathisch und gehen gezielt vor. Ist es zuerst eher Möbius, der mit seiner Erfahrung punktet, so entwickelt sich bis zum Schluss Joseph Kreiser zu einem raffinierten Ermittler. Der Kriminalfall rund um den Mord von August Georgi präsentiert sich gemütlich und doch interessant, daneben ersteht ein Sittenbild der Zeit um 1900, das fasziniert und erschüttert zugleich. Die Zurschaustellung von fremden Völkern zum Amüsement der Gesellschaft, die Verachtung gegenüber unteren Gesellschaftsschichten, anderen Rassen und auch Frauen lassen einem die Haare zu Berge stehen.
Die vielen Verdächtigen, fast allen hätte ich als Leser den Mord zugetraut, waren allesamt gut ausgearbeitete Figuren, die die damaligen Unterschiede in der Gesellschaftshierarchie verdeutlichen. Ein reicher Herr durfte sich alles erlauben, die Arbeiterschicht blieb ohne Rechte. Die komplette Abhängigkeit der Frauen von den Männern wird sehr gut beschrieben, wie auch die ersten Ansätze der Emanzipation. So ist Hannahs Freundin Clara eine patente Frau, die der Zeit weit voraus ist. Hingegen die Ehefrau des ermordeten Georgi und die Tochter der beiden, ein Beispiel für Frauen, die sich damals willenlos in das Schema eingefügt haben und beispielsweise die Seitensprünge der Männer klaglos duldeten. Die Auflösung kam dann überraschend und es war Hannah, die den entscheidenden Hinweis dazu beitrug. -------------------
Ein gelungener Krimi, den ich sehr gerne allen Liebhabern von historischen Kriminalromanen weiterempfehle.
Blick hinter die Fassade der bürgerlichen Gesellschaft in Leipzig um die Jahrhundertwende
Bewertung aus Brandis am 21.03.2020
Bewertet: Buch (Taschenbuch)
Leipzig, um die Jahrhundertwende:
Die aufgrund einer Infektion erblindete und damit arbeitslose Lehrerin Hannah, kann durch die geerbte Wohnung ihres Onkels ganz gut leben, zusätzlich bessert sie ihre kleine Rente durch die Untervermietung eines Zimmers an den Kriminalcommissar Joseph Kreiser auf. Dieser ist aktuell mit der Suche nach einem von der Völkerschau verschwundenen Afrikaner zu tun. Dann wird die Leiche des bekannten Unternehmers Carl August Georgi im Lindenauer Vergnügungslokal Charlottenhof gefunden. Die Klärung dessen hat selbstverständlich höchste Priorität. Hannah unterstützt den Commissar in den allabendlichen Gesprächen durch kluge Gedanken und Überlegungen.
Der Einstieg in das Buch fällt leicht und es liest sich auch sehr gut! Erschreckend ist die Zur-Schaustellung der Menschen (im Prolog besonders eindringlich dargestellt), nur weil sie aus anderen Ländern stammen.
Der Commissar und Hannah bilden schon in den ersten Zeilen ein, wie ich finde ein super Team - das ein bisschen an Sherlock Holmes und Dr. Watson erinnert. Hervorzuheben ist die fundierte Recherche, was die Leipziger Örtlichkeiten betrifft. Dem damaligen Zeitgeist entsprechende, heute eher unübliche Wörter und Formulierungen bereichern das Buch zusätzlich und fügen sich die die Gesamtbeschreibung ohne gestelzt zu wirken.
Mich hat dieses Buch gut unterhalten und ich empfehle es gern weiter!
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