Zwischen Lovebombing, Grenzenlosigkeit und Zerstörung
Wir haben die Natur kartiert und taxonomiert, wir lieben und vernichten sie zugleich. Kognitive Dissonanz ist unser Alltag. Dabei kontrastiert das permanente Bedürfnis, Tiere, Pflanzen, Ökosysteme unter Kontrolle zu bringen und nutzbar zu machen, mit dem mittlerweile ebenso großen Bedürfnis, die Wildnis zu sehen, zu bereisen, zu genießen. Der Wunsch, Ordnung durch Bodenversiegelung herzustellen, geht einher mit der Sehnsucht, der Asphaltwüste der Städte zu entfliehen und in Wäldern aufzutanken. Man will das Unberührte berühren, idealerweise als erste und einzige Person, aber auch sicher und klimatisiert - und weiß um das Paradoxon. Wohin uns das führt? In den Abgrund.
"Das einzige Tier, das seinen eigenen Lebensraum vernichtet, ist der Mensch."
Die erobernde Beziehung des Menschen zu Umwelt und Mitgeschöpfen hat tiefe Wurzeln in der Tradition und Religion. Es gibt eine Fülle von bizarren Verhaltensweisen und Meinungen auszuloten. Man will fühlenden, intelligenten Lebewesen möglichst nahe sein und sperrt sie daher ein. Demgegenüber steht etwa der amerikanische Anwalt Steven Wise, der dafür kämpft, zumindest Menschenaffen, Elefanten und Meeressäugern aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten Persönlichkeitsrechte zu geben. Dabei gibt es viele Wildtiere bereits nur mehr in Gefangenschaft. Was von ihnen in ihrer natürlichen Umgebung noch übrig ist, wird gierig beforscht. Doch wie und wann hat das eigentlich alles begonnen?
Nature Writing auf einem ganz neuen Level
Die Autorin Bettina Balàka versteht es, Geschichte, Forschung und literarische Erzählung über ein so weitreichendes Thema wie "Natur und Mensch" auf beeindruckende Weise zu vereinen. In einer Reihe von Essays arbeitet sie dieses ambivalente Verhältnis auf: subjektiv und wissenschaftlich, historisch und persönlich, gejätet und verwildert, analytisch und experimentell. Sie schreibt von Überfischung und Meereserforschung, Tierhaltung und Veganismus, Klimakatastrophe und Verehrung - und darüber, dass es nicht nur ein individuelles Umdenken braucht, sondern politische Entscheidungen: für diesen Planeten.
Bettina Balàka blickt hier in ihrem Buch „Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen“ auf den Umgang des Menschen mit der Natur, mit der Tierwelt.
Der Mensch. Die Krone der Schöpfung. Das vernunftbegabte Tier. Der Mensch unterscheidet sich von den Tieren durch den Gebrauch des Werkzeugs, hatte ich noch in der Schule gelernt. Ist mittlerweile widerlegt. Vernunftbegabtes Tier. Auch dies scheint bei unserem Tun fragwürdig. Welches Tier zerstört seinen Lebensraum und ist dies wirklich vernunftbegabtes Tun? Mitnichten.
Wir haben Religionen, Gesellschaften und politische Ordnungen. Diese regeln unser Zusammenleben. Angeblich. Doch was regelt wirklich unser Tun? Hier sehe ich nur eins.
Die Gier!
Die Gier sitzt überall und diktiert unser Tun.
Und damit auch unser Tun mit unserer Umwelt, mit der Natur, mit der Tier- und Pflanzenwelt. Wir haben zwar nur diese Erde. Aber egal. Hauptsache der Profit stimmt.
Unserer Jugend fällt dies auf, sie protestiert. Zu Recht. Doch was passiert. Sie wird politisch verfolgt. Obwohl sie Recht hat. Gut die Methoden waren vielleicht etwas fragwürdig. Ja. Dies ändert aber dennoch nichts daran, dass sie Recht hat. Wir haben keine zweite Erde.
Aber die Mächtigen wollen das nicht hören. Daher die Reaktion.
Bettina Balàka blickt auf unser Tun.
Antidepressiva. Selbst die Tiere in den Zoos bekommen diese. Warum nur? Ist das Vegetieren in den Gefängnissen etwa nicht schön? Nein?! Ja wieso nur?! Was mich auf die Antidepressiva bei uns bringt. Ist unser Leben etwa auch nicht schön. Warum nur?!
Was machen wir nur?
Doch das Meckern geht schnell! Möchte man wirklich anders leben? Denn mal ehrlich, wir alle sind ein Teil davon. Wir machen mit, wir ermöglichen das!
Bettina Balàka betrachtet in ihrem Buch unser Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen. Beim Lesen habe ich an meine Katze gedacht und mich gefragt, bist du glücklich? Und ehrlich gesagt, ich weiß die Antwort nicht. Denn sie redet nicht so, dass ich diese Antwort heraushöre. Sie zeigt mir, dass ich etwas richtig mache. Sie zeigt mir, dass sie sich wohlfühlt. Oder rede ich mir dies nur ein?
Tolles Buch! Lesen!
Wow wow wow - was für eine extraorbitante, augenöffende und erschreckende Leseerfahrung! Bettina Balaka widmet sich mit ihrer Essaysammlung „Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen“ dem Leid der Tierwelt, oft hervorgerufen durch unsere Spezies: dem Menschen.
Viele Tiere in Zoos bekommen Antidepressiva oder Beruhigungsmittel, es gibt Berichte über den Tiergarten Nürnberg, die offenlegen, dass die dortigen Delfine im Delfinarium Valium verabreicht bekommen - was ist das nur für eine Welt, in der wir leben?! Auf ebensolche Zustände ist die Schriftstellerin Bettina Balaka gestoßen, als sie sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tierwelt beschäftigte.
Mit einem Verweis auf Rilkes „Der Panther“ beispielsweise möchte sie aufmerksam machen auf die Auswirkungen des Eingesperrtseins der Tiere, das nicht selten stereotypische Verhaltensweisen hervorruft - ein klarer Ausdruck von tierischer Depressivität, welcher mit Antidepressiva entgegengewirkt wird. Bevor Tiere also schwer depressiv in der Ecke sitzen und nichts mehr essen, gibt man ihnen Stimmungsaufheller, was natürlich mitunter auch deren Aktivität erhöht und genau das wollen doch die Zoobesucher auch sehen: Aktive Tiere! Und zur Vermeidung von tierischer Aggressivität und Angriffen gegeneinander - was kann man da bloß machen? Man gibt ihnen natürlich Beruhigungsmittel! In den Zoos ist die Gabe solcher Mittelchen übliche Praxis im Rahmen einer tierärztlichen Behandlung. Doch ist das wirklich legitim?! Viele Menschen sind auch auf Psychopharmaka angewiesen - aber kann man das wirklich vergleichen? Denn die tierischen Verhaltensweisen, die medikamentöser Behandlung bedürfen, sind ja erst durch die Haltung der Tiere zum Bestaunen durch den Menschen, nötig geworden. Tun wir denn den Tieren nicht eigentlich etwas Gutes, indem wir durch die Haltung in Zoos zur Arterhaltung und zum Artenschutz beitragen?! Dies bedarf einer starken Hinterfragung, denn gleichzeitig werden die natürlichen Lebensräume der Tiere ja zerstört. Balaka macht bewusst, dass es nicht nur darum geht genetisches Material zu erhalten, sondern dass die Tiere auch eine Kultur weitergeben von Generation zu Generation, die aber auf diese Weise verloren geht.
Aber was kann denn nun am Bestaunen der Tiere so falsch sein?!
Balaka macht klar, dass auch eine Zeit gab, in der man exotische Menschen in Zoos bestaunen konnte - was heute (zurecht!) als abgrundtief falsch verteufelt wird.
Ambivalenzen und kognitive Dissonanzen spielen eine große Rolle in Balakas Werk - wie zum Beispiel der Umstand, dass fortschreitend Regenwälder abgeholzt werden, aber gleichzeitig der Tourismus in ebensolche boomt. Klar, es geht ums Geschäft, um Arbeitsplätze, Macht und letztlich den Kapitalismus - was aber alles keine Legitimierung für einen derartigen Umgang mit den Ressourcen der Natur darstellt. Und so zeichnet sie literarisch auch ihren Weg vom genießenden Fleischesser hin zum Vegetarismus nach.
Besonders gut gefallen hat mir das Kapitel „In andere Häute schlüpfen: Empathie in der Literatur“, wo sie u.a. auf Thomas Manns autobiografischer Erzählung „Herr und Hund - Ein Idyll“ Bezug nimmt, in der ein Hund darauf trainiert werden soll über ein Stöckchen zu springen, was er aber nicht begreift und daraufhin hart bestraft wird. Empathie gegenüber dem Hund ist hier leider Fehlanzeige - doch woran liegts? Sicherlich gibt es eine Überschreitung der Grenze zwischen Mensch und Tier - der Mensch versucht sich erfolglos ins Tier zu versetzen, denn das ist schlichtweg der falsche Ansatz. Der Mensch versucht sich in den Hund als Mensch hineinzuversetzen, aber wäre es nicht hilfreicher und sinnvoller sich in den Hund als Hund hineinzuversetzen?! Anthropomorphismus at it’s best!
„Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen“ war für mich ein Highlight auf so vielen Ebenen - ich habe viel Neues gelernt (selbst als Medizinerin wusste ich nicht, dass die Verabreichung von Psychopharmaka an Zootiere übliche Praxis ist), mir wurden die Augen geöffnet, ich war erschüttert, aber vor allem bin ich eins: Dankbar! Danke Bettina Balaka für solch erhellende Lesestunden, die mich sowohl inhaltlich, aber auch sprachlich absolut begeistern konnten. Ich hoffe, dass das Buch in ganz viele Hände wandern und Köpfe eindringen wird - absolute Leseempfehlung!
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