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Der letzte Vorhang fällt
Bewertung aus Stuttgart am 03.12.2019
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Herwig Burchard ist ein gefeierter internationaler Regisseur. Eigentlich könnte alles super laufen mit seiner Inszenierung von Mozart's "Die Hochzeit des Figaro". Aber Herwig ist nicht nur ein äußerst grantiger Zeitgenosse, sondern er provoziert auch munter die Theaterkritiker. Bis ihm eines Tages der Kragen platzt und er öffentlich seinen ärgsten Kritiker niederschlägt. Herwigs Karriere ist zu Ende. Er packt seine Koffer und wandert nach Kalabrien aus, wo er als 63-Jähriger nach einer zweiten Chance und einem Sinn im Leben sucht.
Ich muss ehrlich sagen, dass es mir der Roman nicht gerade leicht gemacht hat. Ich habe lange gebraucht, bis ich Zugang zur Geschichte und der Hauptfigur Herwig hatte. Für mich war er geradezu unsympathisch und arrogant. Sein Scheitern - natürlich selbst verursacht - hat bei mir als Leserin eher Genugtuung ausgelöst. Erschien er mir doch zunehmend als ein unangenehmer Zeitgenosse. Dennoch hat mir imponiert, wie sich Herwig im weiteren Verlauf der Geschichte zu einem sympathischen Menschen entwickelt, den nur das Leben und der Verlust geliebter Menschen hart und zynisch gemacht haben. Bechtholf gelingt es sehr gut eine plausible Charakterentwicklung aufzuzeigen. Dennoch wirkte auf mich die Handlung an manchen Stellen etwas konstruiert und schleppend - gerade zum Ende hin und auch als es um die Verwicklungen mit dem Restaurantbesitzer Alberto geht. Sein Erzähl- und Sprachstil ist nicht gerade einfach zu lesen, aber insgesamt sehr wortwitzig, sprachgewandt und auch richtig pointiert. Gerade der lange Dialog zwischen Herwig und Leonie über die Rolle des Theaters bei der Darstellung von Gewalt und Sexualität beweist ein tiefes Verständnis des Autors zum Theater und klingt auch irgendwie wie ein Plädoyer. Als Leser erhält man einen sehr guten Einblick hinter die Kulissen einer Welt, wo Intendanten-Positionen verschachert werden, Eitelkeiten die Hauptrolle spielen und mit Intrigen ganze Karrieren und- eben wie die von Herwig - zerstört werden. Ich mochte diesen zynischen und auch kritischen Blick des Autors, der der Geschichte insgesamt genau die richtige Stimmung verliehen hat.
Mein Fazit:
Ein pointierter Roman mit viel Sprachwitz und interessanten Einblicken hinter den Vorhang einer schillernden Theaterkulisse, wenn man sich darauf einlässt.
Theatralisch
* Vivi * am 09.11.2019
Bewertet: Buch (Gebundene Ausgabe)
Man befindet sich mitten drin in den schleppenden Ereignissen um die Realisierung eines Bühnenstücks während man mit der Lektüre von Sven-Eric Bechtolf startet. Doch gleich am Anfang bekommt man auch den Leitsatz direkt vom Autor: „Im Grunde verstehe ich überhaupt nicht, um was es da geht.“ Man muss schon Insider sein, um so viel über Theater und Schauspieler zu wissen und man braucht eine ganze Menge Intelligenz, dieses Insider-Wissen den Lesern so leicht nachvollziehbar zu präsentieren. Außerordentliches Detailreichtum, verrückte Zwischenfälle, Dekadenz im Wechselspiel mit Existenzangst überrollen geradezu die Leserschaft.
Eine Sympathie mit einer der Romanfiguren – inklusive Hauptfigur – fällt schwer. Alle Personen wirken grotesk wie eine Karikatur und alle handeln theatralisch. Aber sie erreichen ohne Frage, die gedrückte Grundstimmung perfekt zu vermitteln und lassen viel Raum fürs Nachdenken. Es gibt oft sogar Grund zum Schmunzeln. Und dann noch eine ziemlich klischeehafte Liebelei...
Insgesamt ein sehr spezielles Buch, doch authentisch und sehr interessant geschrieben.
Die Worte des Autors wirken zusammen mit den Romanhandlungen eine ganze Weile noch nach: „Du lieber Gott, was war das denn?“